Erinnerungen
De' Henkelkorb
Wie arm es bei uns in Göcklingen zu ging, können sich heute viele junge
Menschen kein Bild mehr machen. Alle Bedürfnisse, ob sie gebraucht
werden oder nur aus Vergnügen gewünscht werden, stehen ihnen zur Verfügung.
Mein Freund, Fritz Biehler dagegen hatte nahezu nichts. Doch er hatte
drei Brüder und zwei Schwestern. Sein Vater hatte, wie damals mehrere
Göcklinger, "schwarz" d.h. unangemeldet Schnaps gebrannt. Es kam ans
Licht und alle "Sünder" wurden wie im 3. Reich üblich, hart und mehrfach
dafür bestraft. Die Brennerei wurde beschlagnahmt, das mehrere tausend
Mark wertvolle Brennrecht entzogen, sie mussten 5 000.-- Mark Strafe
zahlen und kamen ein halb Jahr ins Gefängnis.
Manche haben das durchgestanden, für Familie Biehler kam das Aus. Ihr
Haus wurde versteigert. Herr Biehler ging nach Lothringen. Dort half er
wie viele andere Männer beim Bau der "Maginotlinie", dem französischen
Verteidigungswall gegen Deutschland. Frau Biehler wohnte nun mit ihren
sechs Kindern in einem kleinen Haus in der Hauptstraße. Ich weiß nicht,
wie sie die Miete von etwa 10 Mark aufbringen konnte. Nach dem Krieg zog
die Familie in das Haus der väterlichen Großeltern in Ilbesheim. Alle
Biehler-Kinder waren klug, fleißig und begabt und haben es im Leben zu
etwas gebracht. Doch zurück nach Göcklingen. Essen, Kleidung Schulbücher
und so weiter waren äußerst knapp. Auch deshalb freuten sich die
Biehler-Kinder auf Weihnachten. Da wurden sie von vielen Dorfbewohnern
beschenkt. Auch am Weihnachtsabend, beim Gottesdienst in der Kirche gab
es etwas. Da stand er nun, der wunderbare Weihnachtsbaum, den viele zu
Hause nicht hatten, weil sie sich keinen leisten konnten.
Wir Buben saßen rechts in der ersten Bank, ich zwischen Fritz Biehler
und Albert Eck. Die erste bis vierte Klasse musste sich in die erste
Bank, die 5. bis 8. Klasse in die zweite Reihe setzen. So saßen wir ganz
nahe am Weihnachtsbaum, wie sonst niemand in der Kirche. Die
Schulmädchen saßen auf der anderen, der Kanzelseite.
Unsere Augen konnten "IHN" gut sehen. Da stand er wieder unter dem
Weihnachtsbaum wie jedes Jahr. Der HENKELKORB!
Er war bis oben gefüllt mit Lebkuchen. Welch eine Pracht, welch eine
Hoffnung.
Die Lebkuchen stammten von der Bäckerei Petermann in der Heuchelheimer
Straße. Nach dem Ende des Gottesdienstes kam Elfriede, die Tochter des
Bäckers nach vorn, nahm den Henkelkorb in den Arm stellte sich in den
Gang und begann , die Lebkuchen auszuteilen. Alles ging ruhig und
gesittet vor sich , aber etliche streckten doch die Hände hoch. Glauben
sie mir: Sie hatten Hunger. Ich glaube, für die Hälfte der Kinder waren
die kleinen Lebkuchen das einzige Weihnachtsgeschenk, das sie erhielten.






